9.1 father and son in kirgisistan


IMG_3933 (Large)Sicher es war nicht leicht, als sich Niko zu seiner langen Reise mit dem Fahrrad von zuhause verabschiedete. Umso schöner war es nun, ihn nach sieben Monaten in die Arme schließen zu können, um ihn auf einem kleinen Teil seiner Radreise zu begleiten. Ich habe mich die letzten drei Wochen als Teil eines Weltradlers fühlen dürfen und den Abschnitt von Osh nach Bishkek in Kirgisistan mit einem „all-inclusive-Package“ gebucht.

Ich möchte nun versuchen einen typischen Alltag eines Langzeit-Radreisenden zu beschreiben.

Aufstehen und Frühstück

IMG_3975 (Large)Sicherlich kommt es sehr darauf an, wo man gerade unterwegs ist, aber ich hatte immer das Glück, oder vielleicht lag es auch an meinem Reiseleiter, dass sich mit jedem ersten Blick aus dem Zelt eine gewaltige Naturkulisse auftat. Benzingeruch vom Kocher breitet sich aus, der aber schon bald vom Duft eines hervorragenden Löslichkaffees abgelöst wird. Und eine Besonderheit vieler Radreisenden ist die mitgeführte Minibox, die zur Morgenstunde chillige Musik in angenehmer Lautstärke verbreitet. So kann das Aufstehen, IMG_4328 (Large)auch wenn man vom Vortag die Kilometer und Höhenmeter in den Beinen noch spürt, nicht schwer fallen. Nach einem Haferflocken-Porridge werden alle Habseligkeiten wieder mit System in den vier Taschen verstaut. Bei dieser Tätigkeit erfahre ich von Niko, dass Nachhaltigkeit bei so einer Reise eine große Rollte spielt. Auf meine Frage, ob ich eine verbeulte Wasserflasche, deren Patina von Staub und Schmutz nur schwer Rückschlüsse auf den Inhalt zulässt, entsorgen solle, bekam ich die Antwort: „ wenn du gesund bist, ist es auch hygienisch – die passt noch perfekt“. Und, ich bekam auch noch einen Exkurs über den Zusammenhang der Farbe und Haltbarkeit der verschiedenen Plastiksäcke, die wahrlich nicht mehr alle fein ausgesehen haben.

Am Rad

IMG_6588 (Large)Noch mühsam kommen meine Muskel während der ersten Kilometer in Schwung. Aber mit der Aussicht auf prognostizierte 1000 Höhenmeter die zur Überwindung des dritten Passes am dritten Tag notwendig sind, bleibt mir keine Zeit zum Nachdenken. Wir schrauben uns langsam von Serpentine zu Serpentine höher. Es geht vorbei an vereinzelten Jurten der Nomaden, deren Hunde unsere Vorbeifahrt ankündigen. Kinder laufen auf die Straße, halten die Hände zu einem – give me five- entgegen und ergänzen IMG_6595mit einem schnellen „otkuda, otkuda?“ also, woher kommst du? Die Aussicht auf die zurückgelegte Strecke und die faszinierende Landschaft lässt das Sportler- und Geografenherz höher schlagen. Niko ist schon weit vor mir. Er kurbelt wie in Trance Meter für Meter weiter und das mit passender Musik im Ohr. Auch das habe ich bei dieser Reise gelernt. Unter Langzeitradlern gibt es einen regen Musikaustausch, da ohne passende Begleitung nix geht. Plötzlich bleibt mein Reiseleiter stehen, zieht eine wie schon IMG_6746 (Large)beschriebene Plastikflasche aus einer Tasche und hält mir den Radtacho mit den Worten „du, wir müssen anstoßen“, entgegen. Tatsächlich, es ist die 10 000 Kilometer-Marke überschritten, und tatsächlich, in dieser kleinen verbeulten, unansehnlichen Flasche, ist klarer Wodka. Mitten im Nirgendwo in Kirgisien liege ich vor Niko, nicht wegen des übermäßigen Wodkagenusses, sondern vor dieser fast unvorstellbaren Leistung. Auf über 3000 Meter überqueren wir den höchsten Punkt. Es ist kalt und wir erreichen bei der IMG_6770 (Large)Abfahrt, durch den heftigen Gegenwind, die grobgeschotterte Straße und dem Waschbrett eine kaum wesentlich höhere Geschwindigkeit wie beim Hinauftreten. Langsam neigt sich auch der aktive Tag dem Ende zu und es gilt nun für das Abendessen Vorsorge zu treffen. In einem kleinen Dorf fragen wir nach einem Magazin, also einem Geschäft und werden sogleich auch hier wieder von Kindern eskortiert. Ich spüre, dass ich die nächste Sitzgelegenheit brauche und lasse Niko IMG_6716 (Large)den „Großeinkauf“ tätigen. Ich beobachte sehr amüsiert, wie er mit sechsmonatiger Reiseerfahrung im turksprachigen Raum, die wichtigsten Vokabel und Redewendungen einsetzen kann und ich mich auf ein kulinarisches Abendessen freuen kann.




Zeltplatz und Nachtlager

IMG_3735 (Large)Wir radeln noch aus dem Dorf hinaus und finden einen etwas abseits, an einem Fluss gelegenen, von Schafen und Pferden kurz gestutzten idyllischen Rasenplatz. Während wir von zahlreichen Gelsen begleitet unsere Zelte  aufstellen, taucht die Abendsonne die Umgebung in ein warmes, plastisches Abendlicht. Wieder wird der Benzinkocher angeworfen und Niko zaubert in der „Pampa“ ein kulinarisches Highlight aus den Töpfen. Chinesisch: Nudeln mit frischem Gemüse in Sojasauce und dazu Wasser aus der schon bekannten Flasche. IMG_3732 (Large)Wir sitzen umringt von unseren Zelten, den Räder und ausgebreiteten Taschen und genießen diesen Moment. Gemütlich tratschen wir in den Abend hinein, gibt es doch einiges zu besprechen, da die gemeinsame Zeit hier auf drei Wochen begrenzt ist.


Niko, ich danke dir für die gemeinsame Zeit und dafür, dass ich ein kleiner Teil deiner großartigen Reise sein durfte.

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