Lady Grey ist meine letzte Station in Südafrika bevor es nach Lesotho geht. Grant und seine Eltern haben eine kleine Frühstückspension, einige Alpakas laufen im Garten herum und im kleinen Häuschen stapelt sich Spezial Fahrradtouring Equipment. Grant hat den einzigen professionellen online Shop für Taschen, Gepäckträger und Co. In Südafrika. Ich gehöre fast zur Familie, während die Gäste im separaten Raum dinieren, tratschen wir in der Küche und essen das vom Vater zubereitete Mahl. Nach einem Tag Pause geht’s Richtung Lesotho. Ich will eigentlich nur Richtung Grenze fahren und erst am nächsten Tag einreisen, doch ich bin schneller als erwartet und an der Grenze gibt es auch keine Möglichkeit irgendwo zu schlafen. Also mach ich mich gegen 4 Uhr nachmittags für das Grenzprocedere fertig.
Zuerst den Ausreisestempel von Südafrika abholen. Hinter einer Glasscheibe sitzt ein Mann im leuchtgelben Nike Fussballtrikot und unterhält sich lautstark mit einem Mann auf meiner Seite. Unmotiviert gibt er mir zu verstehen, dass ich ihm meinen Pass geben soll. Während er sich noch immer unterhält, mich kaum beachtet, sehe ich wie ein Stempel in meinen Pass wandert. Ohne Worte bekomme ich den Pass zurück. „thats it?“ frage ich. Yes. Also zurück aufs Rad und über die schmale Brücke zum Grenzposten von Lesotho. Ich bin noch immer der einzige der die Grenze überqueren will. Ich sehe keinen Soldaten mit Gewehr, nichts. Ich komme zum kleinen Häuschen vor dem Schranken. Eine Frau und ein Mann sitzen darin. Sie schaut mich an, lächelt und bittet um meinen Pass. Interessiert begutachtet sie die vielen Stempel und mein Bild. „this is not your Passport!“ sagt sie. Ich mache meinen Standard schmäh, halte meine Hände vor meinen Bart. Beide Grenzbeamten lächeln. Sie gibt mir den Pass und meint: I’m just the custom control, you have to go inside. I just check if you have anything illegal. You have? No? Ok. I was just Curious who you are. „ Ich gehe in das Gebäude. Ein Mann sitzt hinter einem Schreibtisch, ohne Uniform. Ich gebe ihm meinen Pass. Er fragt mich stottert die üblichen Fragen. Woher ich komme, wohin ich gehe, was ich beruflich mache. Eine junge hübsche Dame geht vorbei und grüßt mich lächelnd.
Sie hat eine orange Weste mit der Aufschrift „custom control“. Als sie wieder weg ist, gibt mir der Grenzbeamte mit meinem Pass zu verstehen, dass diese Frau sehr hübsch sei und ob ich nicht Interesse hätte. Dann erklärt er mir noch wie man in der Landessprache „heißer Feger „ sagt. Als die junge Dame wieder vorbei geht sagt er etwas zu ihr, woraufhin sie mich anblinzelt und anlächelt. Hat mich da eben ein Grenzbeamter versucht mit einer custom control Dame zu verkuppeln? Aber es geht noch weiter. Die Tage der Aufenthaltserlaubnis müssen per Hand eingetragen werden. Der Beamte fragt mich: how long do you want to stay in Lesotho? Ich: about three Weeks. Er: is it ok if i give you 30 days? Ich: Yes that’s Fine! Er: if you want more, i can give you also 40 days! no problem!
Am Weg nach draußen unterhalte ich mich noch kurz mit der Dame vom custom control bevor ich in das abendliche Königreich Lesotho fahre.
Es ist eine andere Welt und ich hätte mir nie gedacht, dass der Unterschied so extrem sein würde. Überall kleine Rundhütten, Häuschen und kleine Felder die von Hand bewirtschaftet werden. Es scheint so, als wäre die Zweiklassengesellschaft von Südafrika nicht nach Lesotho gekommen. Ich ernte viele neugierige Blicke, egal ob von Kindern oder Erwachsenen. Es wird langsam dunkel und ich mache mich auf Schlafplatzsuche. Und was bemerke ich? Keine Zäune! Ich fahre einen kleinen Feldweg hinunter und stelle auf einer kleinen Wiese mein Zelt auf.
Noch sind die Straßen gut asphaltiert, aber teilweise so steil, dass ich nur im Wiegetritt hinauf komme. Wie das wird wenn ich auf Schotter unterwegs bin? 15 Prozent und mehr sind keine Seltenheit, ich bin am Ende und bin jeden Abend um 8 Uhr im Bett. Ich habe bereits aufgegeben die Pässe zu zählen. Es sind gefühlte Hunderte. An einem Tag klettere ich auf einen Pass mit knapp 1000hm, ich bin am Ende und als ich nach einer kurzen Abfahrt schon den nächsten Anstieg sehe, kapituliere ich. Neben der Straße und nicht weit von den vielen Rundhütten stelle ich mein Zelt auf. Was das zu bedeuten hat, hätte ich mir auch denken können. Schnell spricht sich im Dorf herum, das ein komischer Typ mit Fahrrad hier ist. Also werde ich bei jedem Handgriff genau beobachtet. Egal ob beim Kochen, oder Zähneputzen, neugierige Blicke sind mir sicher. Und auch das Zelt wird genauesten begutachtet. Wo man hinein kriechen kann, wie das mit dem Reißverschluss funktioniert. Sogar spät abends, es ist schon lange stockfinster, kommen 4 Jugendliche zu mir. Der Bruder habe ihnen erzählt dass ich hier bin. Aber wer glaubt dass die Menschen Hinterwäldler sind liegt falsch. Auch die Hirten haben Smartphone und Facebook. Also tauschen wir die Kontakte aus und wie schon so oft kommt auch an diesem Abend eine vielgestellte Frage. „kannst du mir einen Job in Europa besorgen?“ Als sie weg sind genieße ich noch einige Minuten die Ruhe und schaue in den hellen Sternenhimmel. Ein Hund bellt und unterhält sich mit sich selbst. Die drei zusammenlaufenden Täler erzeugen so viele Echos, dass es so klingt, als würde ein ganzes Rudel bellen.
In der Früh werde ich von vielen Kindern geweckt. In der Nacht sinken die Temperaturen auf ca. 5°, da gehe ich nur ungern um 5 Uhr aus dem Schlafsack. Aber alle Kinder statten mir natürlich noch einen Besuch ab, bevor sie sich auf den Schulweg machen. Eine Stunde zu Fuß auf den anderen Seite des Berges, jeden Tag. Trotzdem bleibt noch genug Zeit mich beim anziehen, kochen, essen, packen und Zähneputzen zu beobachten.
Noch ist die Straße asphaltiert, noch. Ich fahre an der südlichen Grenze immer weiter Richtung Osten nach Quacha’s nek. Die Landschaft ist karg, es gibt keine Bäume, keine Sträucher. Vereinzelte Bäume kündigen das nächste Dorf an. Ich bin schon länger auf über 2000m unterwegs, es geht bergauf und bergab. Doch nun beginnt der lustige und berühmt berüchtigte teil Lesothos. Die Asphaltstraße wird zur Schotterpiste, zum Schotterweg mit Waschbrett, zum Feldweg. Zudem sind die Straßen extrem steil. Ich muss teilweise nicht nur bergauf, sondern auch bergab schieben. Meine Tages Durchschnittsgeschwindigkeit fällt auf 5-7 km pro Stunde.
Ein Auto stoppt, der Fahrer lässt das Fenster hinunter und stellt mir eine nicht ganz unberechtigte Frage: „warum machst du das? Warum quälst du dich?“ Ich stottere vor mich hin, wenn ich ehrlich bin hab ich darauf keine Antwort. Ich kämpfe mich weiter die steile Straße hinauf, meist schiebend. Eine Stunde später bin ich völlig fertig am höchsten Punkt angelangt. Ich blicke in eine menschenleere Landschaft. Der Wind pfeift mir um die Ohren, ein Adler zieht seine Kreise weit über mir. Die Luft ist klar, sodass ich ein unglaubliches Panorama habe. Genau deswegen quäle ich mich. Dieses Gefühl ist unglaublich.
Und dann entdecke ich doch noch einen Hirten. Weit vom nächsten Dorf entfernt frage ich mich was der hier macht. Ich glaube, er denkt sich das gleiche über mich.
In den Dörfern werde ich meist von den vielen Kindern nach Süßigkeiten gefragt. Auch Erwachsene sprechen mich laufend deswegen an. Eine junge Frau fragt mich nach Sweets. Ich verneine. Gib mir Geld. Ich verneine. Gib mir deine Sonnenbrille. Ich verneine. Gib mir essen. Ich habe nur Reis. Gib mir den Reis. Er ist nicht gekocht. Egal, gib mir den Reis oder gib mir einfach irgendetwas. Ich müsste lügen wenn ich über diese Art von Unterhaltungen erfreut wäre.
Ich komme meinem Ziel, dem Sani Pass, immer näher.
Mein ursprüngliches Vorhaben auf noch kleinen Wegen zu fahren habe ich schon bald verworfen, zu steil, zu extrem sind schon die „normalen“ Straßen. Nur manchmal nehme ich eine kleine Abkürzung, die aber meist länger dauert. Ich glaub, dass ich den Sinn einer Abkürzung noch nicht ganz verstanden habe. Dafür werde ich mehr Qualen belohnt. Das klingt fair.
An meinem letzten Tag im Königreich der Berge fahre ich Richtung Sani Pass. Komisch, aber die Straße ist perfekt asphaltiert oder es wird gerade fleißig gebaut. Trucks mit chinesischen Schriftzügen überholen mich. Schon in Südafrika wurde mir erzählt, dass die Chinesen in Lesotho viel investieren. Es geht schnell den Pass hinauf und schon gegen Mittag bin ich auf 3240m. Das ist mir ein bisschen zu schnell gegangen. Dafür geht’s bergab auch schneller als erwünscht. Die Straße ist so steil, dass ich immer voll bremsen muss. Bald rieche ich etwas. Es erinnert mich an die Passstraßen in Österreich, wenn sich die niederländischen Wohnwagen die Serpentinen hinunter quälen. Die Bremsen! Oje, ich bremse nicht mehr! Das Gewicht meines Trucks zieht mich immer schnell hinunter Richtung kurve. Die Bremsen überhitzen. Schnell gehe ich aus dem Sattel und drücke beide Schuhe so stark wie möglich auf den Asphalt. Ich schleife richtung Kurve und werde ein bisschen langsamer. Ich manövriere um die Kurve bis ich endlich zum Stehen komme. Das war knapp…
Gott sei Dank ist das beste Stück des Sani Passes noch Schotterweg. Dieser Teil ist bereits auf der südafrikanischen Seite und ich werde mich morgen in die Tiefen werfen. Aber bis dahin genieße ich noch ein kühles Maluti Bier im höchsten Pub Afrikas auf 2873m mit Oliver, einem Radfahrer aus der Schweiz. Er kommt am gleichen Tag am Sani Pass an und fährt in die entgegengesetzte Richtung.